Die Chemische Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) traut sich was. Dr. Jörg Rothermel, zuständiger Abteilungsleiter für Energie, Klimaschutz und Rohstoffe blätterte beim 17. Energiepolitischen Frühstück unter dem Thema „Chemistry4Climate“ drei Szenarien auf, unter denen die Chemische Industrie bis zum Jahr 2050 weitgehend klimaneutral werden könnte.

Ausgangspunkt sind die Prozesse der Chemie mit ihren integrierten energiebedingten und stofflichen Emissionen, die entweder durch Strombezug von außen oder interne Eigenerzeugung gefüttert werden. Vorgeschaltet sind die Rohstoffgewinnung (Erdöl, Erdgas und deren Transport) sowie die Rohstoffverarbeitung (z.B. in Raffinerien). Aus den Prozessen entstehen Produkte, die verwendet und irgendwann entsorgt werden.

Auf dieser Basis entfaltet der VCI drei grundlegende Szenarien. Im Referenzpfad wird der Status Quo optimiert, was immerhin von 2020 bis 2050 eine CO2-Minderung von 27 Prozent bringen würde, und zwar ohne große zusätzliche Investitionen.
Der Technologiepfad ist da schon teurer, mit 15 Mrd. Euro zusätzlichen Investitionen und einem Stromverbrauch von 224 Terrawattstunden pro Jahr könnten 61 Prozent der Emissionen bis 2050 eingespart werden. Das ehrgeizigste Szenario ist der Pfad der Treibhausgasneutralität, bei dem mit 45 Mrd. Euro zusätzlichen Investitionen und 628 Terrawattstunden Strombedarf pro Jahr bis 2050 100 Prozent Treibhausgase eingespart werden könnten. Dabei geht der VCI davon aus, dass erneuerbarer Strom inklusive Steuern und Abgaben für 4 Cent/kWh zu haben sein muss.
An den Investitionen wird es vielleicht nicht scheitern, aber der zusätzliche Strombedarf ist knapp ein Drittel höher, als in Deutschland derzeit überhaupt Strom verbraucht wird.
Kreislaufwirtschaft des Kohlenstoffes
Das Geheimnis des Erfolges könnte die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft des Kohlenstoffes im weitesten Sinne sein. Dazu ist die durchgängige Elektrifizierung und Deckung des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien notwendig, so der VCI.
Schlüsseltechnologien werden alle Formen des Kunststoffrecyclings, die Herstellung von Basischemikalien auf der Basis von Biomasse und rückgewonnenem CO2 und die Herstellung von Wasserstoff direkt aus Wasser oder über dem Umweg der Mechanisierung (mit dem Ziel z.B. Ammoniak herzustellen) sein. Am Beispiel der Ammoniakproduktion wurde klar: Alle Pfade werden spätestens 2031 Industriereife haben, bereits 2035 in nennenswertem Umfang CO2 einsparen, 2040 Kostenparität gegenüber neuen Referenzanalagen erreichen und 2048 mit abgeschriebenen Referenzanlagen gleichziehen.
Der Rohstoffbedarf wird beim Referenzpfad fossil geprägt, beim Technologiepfad durch ein Gemisch an überwiegend fossilen Rohstoffen, gefolgt von Biomasse, CO2-Verwertung und Kunststoffabfällen. Der Pfad der Treibhausgasneutralität wird beherrscht durch CO2-Recycling, gefolgt von Biomasse, Kunststoffabfällen und einem kleinen Rest fossiler Grundstoffe.
Dr. Rothermel musste immer wieder darauf verweisen, dass die notwendigen Technologien nicht vor 2030 verfügbar und Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit nicht vor Mitte der 30er Jahre gegeben sein werden.
Die Beschaffung von über 600 Terawattstunden erneuerbaren Stroms – ob aus dem Inland oder dem Ausland, die Bereitstellung von 7 Mio. Tonnen (grünem) Wasserstoff und die damit verbundenen infrastrukturellen Maßnahmen stellen eine gewaltige Herausforderung dar.
Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen
Die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen, wie niedrigste Strompreise, hohe Investitionen und ein fehlender Markt für teurere Produkte bei einem EU-zentrierten Klimaschutzregime stellen hohe Hürden dar, die die Politik zwingen sollten, über weltweite CO2-Preise oder geeignete Kompensationsmechanismen nachzudenken.